Anne-Sophie Mutter im Gespräch
„Die Zukunft der klassischen Musik muss immer wieder neu gedacht werden.“

Anne-Sophie Mutter sprach mit Anna-Kristina Laue über ihre Herzensprojekte zum 50-jährigen Bühnenjubiläum, von denen zwei auch in Düsseldorf zu erleben sein werden.
Wie alles begann ...
Anne-Sophie Mutter feiert ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum.Anna-Kristina Laue: 2026 und 2027 feiern Sie Ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum: 1976 gaben Sie Ihr Debüt beim Lucerne Festival (Luzerner Festwochen), 1977 Ihr Debüt mit Herbert von Karajan bei den Salzburger Pfingstfestspielen. Er hat später gesagt: „Man kann sie nicht als Talent bezeichnen, sie ist einfach ein Genie auf der Geige.“ Wie haben Sie das als Teenager empfunden? Wussten Sie, dass da gerade etwas Besonderes passiert?
Anne-Sophie Mutter: Also, die Aussage habe ich erst sehr viel später am Rande mitbekommen. Ich war einfach nur glücklich, dass ich dieser Leidenschaft, Geige zu spielen, tatsächlich folgen durfte. Und ich konnte es natürlich auf der anderen Seite überhaupt nicht fassen, dass mein Vorspiel bei Herbert von Karajan so erfolgreich lief. Das war das Allerletzte, mit dem ich gerechnet hätte. Insofern war alles, was danach kam, eine Riesenüberraschung und natürlich ein sehr großer Ansporn.
Sie haben damals mit Mozart debütiert ...
Ja, mit dem G-Dur-Konzert, das wir jetzt auf der Tournee nicht spielen. Ich möchte mich nämlich auf das allererste und das letzte fokussieren. Auch weil man da so wunderbar sieht, was für eine unglaubliche kompositorische Entwicklung Mozart in nur einem einzigen Jahr, in dem er die fünf Violinkonzerte geschrieben hat, genommen hat. Das ist eine besonders schöne Klammer, in deren Mitte das zweite Violinkonzert von André Previn steht. Und wir haben die europäische Erstaufführung von Aftab Darvishis Likoo im Programm.
Herzenswerke
Anne-Sophie Mutter über Mozarts Violinkonzerte.Kann man sagen, dass es sich um Herzenswerke für Sie handelt?
Ich muss gestehen, dass ich Werke, zu denen ich weder intellektuell noch emotional Zugang finde, nicht aufführe, was natürlich im Umkehrschluss bedeutet, dass das, womit ich auf die Bühne gehe, mir wahnsinnig am Herzen liegt!
Aftab Darvishi zum Beispiel ist eine von einer ganzen Vielzahl hochinteressanter Komponistinnen aus dem Iran. Und es ist mir wichtig, den Frauen im Iran eine Stimme zu geben durch die Musik. Manchmal kommen diese Dinge aus humanistischen, politischen Ecken aus mir raus. Ich lese etwas und denke, oh ja, da möchte ich mich unbedingt engagieren, dann verliebe ich mich auch noch in die Musik und schon ist es ein Herzensprojekt. Genau wie natürlich die Werke von Mozart insbesondere uns Geigern am Herzen liegen, weil er uns als letzter Komponist so ein großes und vielschichtiges OEuvre hinterlassen hat, bevor das Klavier „instrument of the months, of the years, of the centuries“ wurde.
Mozarts Violinkonzerte werden ja oft als „leicht“ missverstanden. Dabei liegt in der zielgenauen Wahl der sparsamen, aber doch unfassbar treffenden musikalischen Ausdrucksweise die große Kunst, weil alles nackt daliegt. Es ist wie Miniaturenmalerei auf einem kleinen Kirschkern, jedes Detail muss sitzen, da ist nichts mit dem großen Pinsel gemalt.
Und der Previn in der Mitte setzt wunderbare moderne Akzente: rhythmisch wie immer bei ihm, sehr Jazz-inspiriert, aber durch zwei große Cembalo-Interludien ein ganz ungewöhnliches Werk, das auch eine Reverenz an die Barockmusik sein soll.
Wie klang der Mozart der 13-jährigen Anne-Sophie Mutter, wie klingt er heute?
Das ist aus der subjektiven Warte schwer zu beantworten. Aber durch die Lebenserfahrung, durch die Erfahrung mit dem eigenen Spiel und dem, was man weiterentwickeln möchte, durch die Veränderung auch unserer Auffassung von der Aufführungspraxis der Musik aus der Wiener Klassik, mit einer sparsameren Vibratogebung, vielleicht auch mit mehr Verständnis für die Phrasierungskunst Mozarts, ist mein Mozart, glaube ich, spritziger geworden und sicher auch noch persönlicher. Aber im Prinzip ist man ein Leben lang auf dem Weg dahin, eine sogenannte zeitlose Interpretation zu finden.
Das war natürlich mit 13 nicht so ein stark kognitiv geprägter Prozess. Aber auch jetzt finde ich es wichtig, dass die Spielfreude und der Intellekt sich unbedingt die Waage halten müssen und vielleicht am Ende die Spielfreude immer die Oberhand gewinnen muss.
„Likoo“ von Aftab Darvishi
Auftragswerk für Anne-Sophie Mutter.Können Sie noch ein bisschen mehr über das Solowerk von Aftab Darvishi erzählen?
Es ist eine Art Klagegesang. Aftab nennt als Inspirationsquelle die Gesänge aus der Grenzregion des Iran zu Pakistan und Afghanistan, die entweder auf der Laute oder einer Art Flöte gespielt werden. Und ich wollte dezidiert einen Klagegesang von uns Frauen über alles, was wir verloren haben in unserem Leben.
Sie haben das Werk in Auftrag gegeben?
Genau. Mein großes Projekt zum 50-jährigen Bühnenjubiläum ist auch, alle für mich geschriebenen Werke jetzt endlich einzuspielen. Denn es ist mir ganz wichtig, dass am Ende meines musikalischen Lebens diese Werke ein Eigenleben haben und somit die Auseinandersetzung, das Lernen, das Weiterleben dieser Kunstwerke in gewisser Weise gesichert ist. Ich finde, darin liegt die große Verantwortung des Interpreten. Und Likoo ist eins dieser Werke, die ich dieses Jahr aufnehmen werde.
- Donnerstag, 04. Juni 2026 | 20:00 Uhr | Tonhalle, Mendelssohn-SaalAnne-Sophie Mutter
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Wie feiern Sie Ihr Bühnenjubiläum denn noch?
Ich glaube, das spannendste Werk zu meinem Jubiläum ist eine Auftragskomposition des amerikanischen Komponisten Sebastian Currier mit dem polnischen Videographer Paweł Wojtasik. Sie heißt The Seasons und ist eine Gegenüberstellung von Vivaldis Vier Jahreszeiten mit einem Videoprojekt über die Veränderung der Umwelt durch die Industrialisierung. Es ist natürlich ein sehr kritisches Werk. Und es ist mir ganz wichtig, diese zwei Kunstformen – Musik und visuelle Kunst – zusammenzubringen. Abgesehen von dem Herzstück der Idee, nämlich der „environmental consciousness“, ist meine andere große Leidenschaft der Versuch, ein breiteres, sich nicht nur für Musik interessierendes Publikum, das heißt eigentlich alle anzusprechen, die wir vielleicht auch über die Visualität in den Konzertsaal locken können, weil die Zukunft der klassischen Musik immer wieder neu gedacht werden muss.
Frauenpower zum Jubiläum
Anne-Sophie Mutter über die bevorstehende Zusammenarbeit mit Karina Canellakis und dem London Philharmonic Orchestra.Lassen Sie uns noch über Ihr anderes Projekt bei uns in Düsseldorf sprechen: Sie spielen Tschaikowskys Violinkonzert mit dem London Philharmonic Orchestra.
Genau, das ist der andere Pinsel, der breite Pinsel, der romantische, sehr virtuose, sehr stürmische, unglaublich farbige, wilde, wunderschöne. Das Violinkonzert begleitet mich auch schon ganz lange. Am 15. Dezember 1985 spielte ich es bei meinem letzten Konzert mit Karajan in Salzburg. Daraus wurde auch ein Live-Mitschnitt. Und dann habe ich es später nochmal mit dem London Symphony Orchestra und André Previn aufgenommen.
Es ist eines der großen Werke, an denen man nicht vorbeikommt. Und es wird immer wieder der Versuch unternommen, es neu zu entschlüsseln, es vielleicht puristischer und schlichter zu spielen. Wir werden sehen! Mit Karina Canellakis habe ich noch nie zusammengearbeitet, ich schätze sie aber sehr. Ich habe öfter Konzerte von ihr besucht, sie ist eine tolle Musikerin. Und ich unterstütze natürlich unbedingt auch Kolleginnen, wo immer ich kann.
Auf die Frauenpower freuen wir uns auf jeden Fall!
Man muss sagen, da ist Amerika wahnsinnig proaktiv, die Sponsoren machen gar nicht mit, wenn nicht ein bestimmter Prozentsatz an Repertoire viel breiter aufgestellt wird und wenn nicht auch auf viel mehr Diversität unter den Musikern, speziell eben auch unter den Dirigenten geachtet wird. Nur so können wir den Zugang zur klassischen Musik verbreitern und vor allen Dingen auch mehr Anknüpfungspunkte zum wahren Leben bieten. Wer möchte Dirigentin werden, wenn es keine Leitfiguren gibt? Und es gibt ja, weiß Gott, genug Begabungen! Wir leben zwar, was das angeht, in einer sehr viel offeneren Zeit, aber das muss unbedingt in rasantem Tempo noch verstärkt werden!
- Samstag, 21. Februar 2026 | 20:00 Uhr | Tonhalle, Mendelssohn-SaalLondon Philharmonic Orchestra
Karina Canellakis | Anne-Sophie Mutter
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Träume und Herzensangelegenheiten
Anne-Sophie Mutter über die Bereicherung des Repertoires und die Förderung talentierter Nachwuchsmusiker:innen.Vermutlich haben Sie schon in allen Konzertsälen der Welt gespielt, mit allen großen Orchestern und Dirigent:innen zusammengearbeitet – aber gibt es noch musikalische Projekte, die Sie unbedingt realisieren möchten? Haben Sie einen Traum?
Mein Traum hat, glaube ich, mit der Tatsache zu tun, dass mein eigener musikalischer Weg wirklich nur noch ganz kurz ist. Und darum liegt mir unfassbar daran, Repertoire so zu bereichern und in die Zukunft hineinzudenken, dass wir jetzt Dinge etablieren können, die vielleicht erst in zehn, zwanzig Jahren Mainstream werden. Ich möchte weiter ein bisschen mit vordenken dürfen, Musikprojekte anstoßen, und auch die Förderung meiner jungen Streicher ist mir eine Herzensangelegenheit.
Ich glaube schon, dass Musikmachen eine Chance für ein besseres, offeneres, freudigeres Miteinander sein kann. Aber wir müssen wirklich ganz leidenschaftlich kämpfen und neue Formate finden.
Denn wir brauchen diese Botschafter, die mit Idealismus das Miteinander feiern, die Einzigartigkeit der Unterschiedlichkeit. Wir brauchen den Dialog, das feine Hinhören und die Fähigkeit, die eigenen Aussagen zu verändern durch das, was um uns herum geschieht, während wir gerade selbst interpretieren. Ich glaube schon, dass Musikmachen eine Chance für ein besseres, offeneres, freudigeres Miteinander sein kann. Aber wir müssen wirklich ganz leidenschaftlich kämpfen und neue Formate finden. Ich bin ja beispielsweise ein großer Fan von Clubkonzerten. Das könnte man in Düsseldorf mal andenken! Denn ich glaube, dass durch die Veränderung des Rahmens einer Aufführung noch mehr Freude zugelassen wird.
Ich mag Düsseldorf einfach wahnsinnig gern!
Die Tonhalle Düsseldorf ist ja als ehemaliges Planetarium auch kein ganz klassischer Konzertsaal ... Seit 1987 waren Sie insgesamt 16-mal bei uns zu Gast – man könnte meinen, Sie kommen ganz gern nach Düsseldorf?
Ich mag die Stadt einfach wahnsinnig gern! Es gibt dort eine so lebendige, gelebte Kunst. Ob jetzt der Saal der weltbeste Saal ist … Aber es ist einfach eine tolle Atmosphäre in dem Raum! Dadurch, dass die Bühne so klein ist und man so eng vor der ersten Reihe steht, kann das Publikum natürlich auch aus nächster Nähe die enorme Anstrengung miterleben, die einem zum Beispiel das Tschaikowsky-Konzert abverlangt. Es ist ein Saal, in dem man auf Tuchfühlung geht – physisch und psychisch – und das ist es, was ich schätze an der Tonhalle. ◀