Hintergründe

Von Barock bis Blockbuster

Die erstaunliche Vielfalt des britischen Orchesterlebens

Kirche St Martin in the Fields am Trafalgar Square in London

Auch große Männer behaupten fragwürdige Dinge: „The English may not like music, but they absolutely love the noise it makes“, schrieb der bedeutende britische Dirigent Sir Thomas Beecham einmal – was ihn nicht daran hinderte, ein Orchester nach dem anderen zu gründen und so zu dem überragenden Niveau beizutragen, das die heutige britische Orchesterlandschaft kennzeichnet. Selbst ein Berliner Konzertgänger wie der Autor dieser Zeilen muss neidlos anerkennen, dass es heute in keiner anderen Stadt der Welt derart viele Spitzenorchester gibt wie in London.

The English may not like music, but they absolutely love the noise it makes.
Sir Thomas Beecham

Eines dieser Spitzenorchester ist das 1932 – von Sir Thomas Beecham – gegründete London Philharmonic Orchestra, seit nunmehr gut 90 Jahren selbstverwaltet und quicklebendig auf der ganzen Welt unterwegs. Neben herausragenden Interpretationen klassischer Meisterwerke spielte das LPO die Musik zu zahlreichen Filmen ein, darunter Blockbuster wie Herr der Ringe oder Lawrence von Arabien: Kein Wunder, dass es heute das meistgestreamte Orchester der Welt ist. Am 21. Februar 2026 ist das LPO mit seinem Karina Canellakis und Anne-Sophie Mutter in Düsseldorf zu Gast.

Dass das britische Musikleben sich jedoch keineswegs auf die Hauptstadt beschränkt, beweist das City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO), das in den 1980er- und 1990er-Jahren unter Sir Simon Rattle zu Weltruhm aufstieg. Doch auch seine Nachfolger:innen Sakari Oramo, Andris Nelsons und Mirga Gražinytė-Tyla prägten das CBSO in den folgenden Jahrzehnten maßgeblich und festigten sein weltweites Renommee. Ab April 2023 übernimmt nun der Japaner Kazuki Yamada den begehrten Posten des Chefdirigenten in Birmingham. Vielfach gepriesen wurde Yamada unter anderem für seine hinreißenden Interpretationen des französischen Repertoires.

Immerhin ist ja die Tatsache, dass das Leben mit und für Musik hart erarbeitet werden muss, für britische Orchester nichts Neues. Denn ihre typische ästhetische Offenheit verdankt sich nicht nur einer sympathischen Unvoreingenommenheit, sondern auch harten ökonomischen Notwendigkeiten. Die staatliche Kulturförderung in Großbritannien ist viel geringer als in Deutschland, was schon immer ausgiebige Tourneen erforderlich machte. Fürs internationale Publikum ist das natürlich ein erfreulicher Aspekt, zudem moralisch erbaulich: Denn jeder einzelne Besucher wird so zum Mäzen des beeindruckenden britischen Musiklebens.

Die eifrigste Reisetätigkeit legt wohl von jeher ein Ensemble an den Tag, das eine bemerkenswerte Entstehungsgeschichte hat: 1958 begannen der junge Geiger Neville Marriner und zwölf Streicherkollegen, in einer schönen Barockkirche beim Trafalgar Square nach dem Abendgottesdienst Konzerte zu geben. Die mittlerweile weltberühmte Academy of St Martin in the Fields prägte nicht nur in den 1970er-Jahren unsere Vorstellung eines beschwingten, vitalen, völlig unbehäbigen Barockklangs (aber stets auf modernen Instrumenten), sondern spielte auch Soundtracks zu Filmen wie Amadeus oder Titanic ein. Gemeinsam mit den Pianisten Lucas & Arthur Jussen präsentiert die Academy im Mai 2026 ein Programm, bei dem sich alles um Mozart und Bach dreht. 

Man kann sich in der Heinersdorff-Saison 2025/26 also auf so ziemlich alles freuen, was im britischen Orchesterleben Rang und Namen hat. Und es steht zu vermuten, dass selbst der kauzige Sir Thomas Beecham seine Freude an einem so eindrucksvollen Aufgebot von musik- (und geräusch-?)liebenden Engländer:innen gehabt hätte.